Esterwegen: Gedenken an NS-Opfer

Esterwegen. Georg Diederichs – vielen Menschen ist der 1983 verstorbene Politiker heute nicht mehr bekannt. Der Sozialdemokrat ist als Mitglied des Parlamentarischen Rates einer der Verfasser des Grundgesetzes, wurde nach Ende des Zweiten Weltkriegs Bürgermeister seiner Heimatstadt Northeim, zog in den Landtag ein, wurde Sozialminister und war von 1961 bis 1970 niedersächsischer Ministerpräsident – ab Januar 1936 war er für mehrere Monate im Konzentrationslager im emsländischen Esterwegen inhaftiert.

Am 31. Oktober wird David McAllister zur Eröffnung der zentralen Gedenkstätte für die insgesamt 15 Emslandlager auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrations- und Strafgefangenenlagers in Esterwegen erwartet. Der Ministerpräsident gedenkt an diesem Tag so auch des Schicksals seines eigenen Amtsvorgängers. Außerdem desjenigen von rund 70000 weiteren KZ-Häftlingen und Strafgefangenen sowie weit mehr als 100000 Kriegsgefangenen. Sie waren hier inhaftiert, haben Hunger gelitten und unter anderem im Moor hart arbeiten müssen.

Bereits im Frühsommer 1933 entstanden in Börgermoor und Esterwegen die ersten vom preußischen Staat als Musterlager geplanten Konzentrationslager, Neusustrum folgte im September. Wegen massiver Schikanen und zahlreicher Mordfälle sprachen die in dieser Zeit vorwiegend politischen Häftlinge bald schon von der „Hölle am Waldesrand“. Das Lied der Moorsoldaten entstand. „Wir sind die Moorsoldaten und ziehen mit dem Spaten ins Moor. Auf und nieder gehn die Posten, keiner, keiner kann hindurch. Flucht wird nur das Leben kosten, vierfach ist umzäunt die Burg“, heißt es in diesem 1933 im Konzentrationslager Börgermoor entstandenen Lied.

Über 25000 Menschen sind von 1933 bis 1945 in diesen Lagern ums Leben gekommen: KZ-Häftlinge, Strafgefangene, Widerstandskämpfer, allein rund 20000 russische Kriegsgefangene oder von Wehrmachtgerichten verurteilte Soldaten. Gestorben sind sie meist nicht an allgemeiner Schwäche, wie häufig offiziell attestiert, sondern aufgrund schwerer Arbeit und mangelhafter Ernährung. Oder sie wurden ermordet, „auf der Flucht erschossen“. So am 12. Oktober 1933 Otto Eggerstedt, der frühere Polizeipräsident von Altona. Weitere bekannte Häftlinge waren der SPD-Fraktionsvorsitzende im Preußischen Landtag Ernst Heilmann, der Kabarettist Werner Finck, der Sohn des früheren Reichspräsidenten und spätere SED-Oberbürgermeister von Ost-Berlin Friedrich Ebert junior sowie als prominentester Häftling in Esterwegen der Friedensnobelpreisträger des Jahres 1935, Carl von Ossietzky.

Nach Kriegsende richteten die britischen Besatzungsbehörden in Esterwegen ein Internierungslager ein. Bis 1959 beherbergte es Sowjetzonenflüchtlinge, später Justizbedienstete und war schließlich bis 2001 Bundeswehrdepot. Andere Lagergelände werden heute als Justizvollzugsanstalt oder landwirtschaftlich genutzt. Das Esterweger Gelände übernahm 2001 der Landkreis Emsland mit dem Ziel, am historischen Ort eine Gedenkstätte zu errichten. Durch archäologische Grabungen wurden letzte Überreste gesichert, am historischen Ort Work-Camps mit jungen Erwachsenen durchgeführt und in den Folgejahren mit vielen Experten Gestaltungsmöglichkeiten erarbeitet. 2006 wurde der vorläufige Gedenkstättenbetrieb aufgenommen. Unter anderem durch große Stahlelemente sind die Teile des ursprünglichen Lagers, die für Gewalt und Bedrohung stehen, in eine moderne Formensprache übersetzt worden. Historische Hintergründe werden in einer neu konzipierten Dauerausstellung vermittelt. Für ein Gespräch stehen zudem Mauritzer Franziskanerinnen im benachbarten Kloster bereit.

Am 31. Oktober um 10 Uhr wird die Gedenkstätte im Rahmen einer öffentlichen Gedenkveranstaltung offiziell eröffnet. Erwartet werden neben Ministerpräsident McAllister und dem Staatsminister für Kultur Bernd Neumann mehr als 100 ehemalige Häftlinge und Angehörige.

Georg Diederichs starb am 19. Juni 1983 in Laatzen bei Hannover an den Folgen eines Schlaganfalls. Er hat nach seiner Freilassung aus der KZ-Haft nur selten öffentlich über seine Zeit in Esterwegen gesprochen. In der Karwoche 1962 aber besuchte er bereits als Ministerpräsident bei einer Bereisung des damaligen Altkreises Aschendorf-Hümmling noch einmal das Lagergelände und den Gedenkfriedhof in Esterwegen...

Autor: Carsten van Bevern, Meppener Tagespost am 22. Oktober 2011

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