„Hier wurden die Opfer klein“

„Hier wurden die Opfer klein“ - Ein Rundgang durch die im Aufbau befindliche Gedenkstätte im ehemaligen Konzentrationslager Esterwegen

Esterwegen. Dieser Gang macht stumm. Traurig. Wütend. Wer das Gelände des ehemaligen Konzentrations- und Strafgefangenenlagers Esterwegen besucht, kann das Leid der Opfer erahnen. So jeden, Vöfalls geht es einer Gruppe aus Bakum.

Gerade angekommen, schauen die acht Ehepaare aus dem Landkreis Vechta erstmach verblüfft. Bei ihrer Radtour haben sie de Straße Hinterm Busch in Esterwegen angesteuert. Hier soll ein Konzentrationslager gewesen sein? Die Sonne scheint, Gras wiegt sich sanft im Wind, Vögel zwitschern. Alles fast zu lieblich, denkt man an das Grauen, das hier Tausende von Naziopfern von 1933 bis 1945 erlitten haben.

Doch der erste Eindruck ändert sich bald. Kurt Buck, Leiter des Dokumentations- und Informationszentrums Emslandlager (DIZ), führt die Besucher auf das Gelände. Am Anfang der 480 Meter langen Lagerstraße machen die Bakumer den ersten Halt. Hubert Kröger legt den Kopf in den Nacken und schaut hoch. Vor ihm ragt ein fünf Meter hoher Koloss aus Stahl in den Himmel: braun - wie der Torf, den die Häftlinge in mühsamer Arbeit stehcen mussten. Massig - wie die Gewalt, der sie jeden TAg ausgesetzt waren. "Das ist schon beeindruckend", sagt er. Das Element steht an der Stelle des früheren Eingangstores. Doch dieser Stahl heute hat keine Türen, nur einen winzig schmalen Sehschlitz. Die schlichte Konstruktion verfehlt ihre Wirkung bei den Besuchern nicht: Hier kam keiner raus.
Insgesamt zehn solcher Corten-Stahlscheiben sind im vergangenen Jahr auf dem Gelände der künftigen Gedenkstätte aufgestellt worden. Sie markieren die Ecken der ehemals stacheldrahtbewehrten Lagermauer, die vier Wachtürme und die drei Tore - sie zeigen, wie groß das Lager war. Und wie grausam eingesperrt die Häftlinge.

Doch davon mag man im ersten Teil des Lagers kaum etwas spüren. Hier vorn wohnten die Wachmannschaften. "Die hatten sich eine richtige Idylle geschaffen", sagt Kurt Buck und deutet auf die Reste eines Springbrunnens und auf hübsch gesetzte Baumgruppen. Er zeigt, wo früher die Ruine einer Burg auf dem kleinen "Feldherrenhügel" stand, wo Rosenbüsche blühten und die Wachleute in der Freizeit in ihr Freibad hüpften. "Da konnten sie sich auch nicht von ihrer Schuld reinwaschen", murmelt eine Bakumerin leise. In diesem Bereich wird der Landkreis Emsland als Träger der Gedenkstätte ganz bewusst nichts verändern, nichts nachbauen. "Diesen Teil überlassen wir sich selbst. Wir widmen uns den Opfern", sagt Kulturamtsleiterin Andrea Kaltofen.
Und dieses Konzept wird schon jetzt deutlich, eineinhalb Jahre vor der Eröffnung der Gedenkstätte. Dort, wo früher das Innentor in den Häftlingsbereich führte, stellt sich heute eine rostige Stahlplatte in den Weg. Es gibt einen schmalen Durchlass durch die scharf geschnittenen Kanten, aber er verjüngt sich wie ein Trichter. Einige Bakumer ziehen unwillkürlich den Kopf ein, als sie hindurchgehen. "Hier verloren die Opfer ihre Menschenwürde, wurden kleingemacht", sagt Kaltofen, als sie die Reaktion der Gäste beobachtet
.
Kurt Buck bleibt an einer der zwölf Informationstafeln stehen. Er berichtet, wie die Häftlinge misshandelt und geschunden wurden. Eine Frau schüttelt entsetzt den Kopf, eine andere guckt stumm zu Boden. "Die Führung ist schon sehr wichtig. Viele von uns wussten gar nicht, dass es so viele Emslandlager gab und dass dort so viele Menschen gestorben sind", sagt Hubert Kröger. Mehr Informationen darüber werden die Besucher im Ausstellungszentrum erfahren, dass in einem der ehemaligen Bundeswehrdepots eingerichtet wird. Von hier werden die Gäste auf das Gelände gehen, nicht mehr durch den alten Eingang. "Das war der Weg der Häftlinge, den müssen wir nicht mehr nehmen", so Kaltofen.
Wie der Häftlingsbereich aussehen wird, erzählt Kurt Buck den Bakumern. Keine Baracke soll wieder aufgebaut werden. Schließlich lässt sich in einer Rekonstruktion die Kälte im Winter, die Hitze im Sommer, der Hunger, das Leid nicht nachempfinden. Stattdessen stheen große "Baumpakete" an ihrer Stelle: 19 Stück für 19 Baracken, ein Rechteck aus dicht gesetzten Roteichen und Rotbuchen. "Das sind lebende Wesen, genau wie die Häftlinge", erklärt Kaltofen. Noch ist rundherum grüne Wiese. Aber bald schon wird um die Baumbaracken eine dicke Schicht dunkelbrauner Schlacke aufgeschüttet: kahl und trostlos, ein scharfer Kontrast. "Das wird sicher beeindruckend", sagt Hubert Kröger. Am Ende bleibt er mit seinen Freunden vor der Stahlwand stehen, die die Lagerstraße begrenzt. 15 Namen sind darin eingeschnitten, sie nennen die 15 Emslandlager. Darüber ein Sehschlitz, dahinter grasende Schafe - ganz nah und doch unerreichbar für die Häftlinge. Leise gehen die Bakumer zurück.

Aus: Kirchenbote für das Bistum Osnabrück vom 11. Juli 2010

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