Ludwig Baumann überlebte als verurteilter Deserteur vermeintliche zehn Monate in der Todeszelle

Esterwegen. 13. Dezember 1921, Februar 1941, Juni/Juli 1942, April 1943, Ende 1945, 1966, 1990, 2002 und 2009 – und jetzt der 31. Oktober 2011. Dies alles sind wichtige Daten im Leben von Ludwig Baumann. Heute ist der 89-Jährige der letzte Überlebende der Bundesvereinigung der Opfer der NS-Militärjustiz.

Am 31. Oktober wird der gelernte Maurer sowie Begründer und Vorsitzende der Bundesvereinigung zur Einweihung der Gedenkstätte Esterwegen erwartet. Seit Ende der 80er-Jahre ist der am 13. Dezember 1921 in Hamburg als Sohn eines Tabakhändlers Geborene schon häufig im Emsland und vor allem beim Dokumentations- und Informationszentrum (DIZ) Emslandlager in Papenburg zu Besuch gewesen. Er hat auf Gedenkveranstaltungen zum Kriegsende gesprochen und in Schulen über sein Leben berichtet – als verurteilter Deserteur war Baumann mehrere Wochen lang auch Häftling im Strafgefangenenlager Esterwegen.

Im Februar 1941 wird er zur Wehrmacht eingezogen und als Soldat in Frankreich eingesetzt. Im Juni 1942 desertierte Baumann mit seinem Freund Kurt Oldenburg. Nur einen Tag später werden beide beim Grenzübertritt in den noch unbesetzten Teil Frankreichs gestellt und ließen sich – obschon selbst bewaffnet – widerstandslos von einer Zollstreife festnehmen. Wegen „Wachverfehlung, schweren Diebstahls und Fahnenflucht im Felde“ wird er im Juli 1942 von einem Marinegericht zum Tod verurteilt. Im August 1942 wird er, zu dieser Zeit im Wehrmachtsgefängnis Bordeaux inhaftiert, zu 12 Jahren Zuchthaus begnadigt. Nur: Von dieser Begnadigung erfuhr der insgesamt zehn Monate in der Todeszelle Sitzende erst im April 1943. „Jeden Morgen, wenn die Wachen wechselten, dachte ich: Jetzt holen sie dich. Und wenn sie an meiner Zelle vorbei waren, dann war ich wieder für einen Tag gerettet“, erinnert er sich mit Grauen an diese Zeit.

Durch Beziehungen erreichte sein Vater „Frontbewährung“ für seinen Sohn, und Baumann kam nach mehrwöchigem Aufenthalt im Strafgefangenenlager Esterwegen in das Wehrmachtsgefängnis Torgau. Nach 15 Monaten wurde er in einem „Bewährungsbataillon“ an der Ostfront eingesetzt. Ende 1945 kehrte er aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft zurück. Schwer traumatisiert und weiterhin als „Feigling“ und „Vaterlandsverräter“ beschimpft, gelang es ihm nicht, in der Nachkriegsgesellschaft Fuß zu fassen. Er begann zu trinken. 1966 dann ein weiterer Schicksalsschlag: Bei der Geburt des sechsten Kindes stirbt seine Frau.

Er nimmt das als sein Schicksal an, befreit sich von der Sucht, zieht seine Kinder alleine auf, engagiert sich in der Friedensbewegung. Und er nimmt den Kampf um die Aufhebung der nationalsozialistischen Urteile gegen Deserteure und „Wehrkraftzersetzer“ und die Rehabilitierung der Opfer auf, gründet im Herbst 1990 mit 36 weiteren Männern gesetzten Alters die Bundesvereinigung. Erst 2002 und 2009 beschloss der Bundestag entsprechende Gesetze. Am 31. Oktober 2011 wird er nun zur Einweihung der Gedenkstätte Esterwegen kommen. Sein Freund Kurt Oldenburg kann diesen Tag nicht mehr erleben. Er ist einer von über 25000 Deserteuren, die hingerichtet wurden oder die anschließende Zeit in einem Strafbataillon nicht überlebt haben – frei nach Adolf Hitlers Weisung: „Der Soldat kann sterben, der Deserteur muss sterben.“

Autor: Carsten van Bevern, Meppener Tagespost am 28. Oktober 2011

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