„Sie machten Schießübungen auf unsere Kameraden“

Ehemaliger Esterwegen-Häftling berichtet Jugendlichen aus seinem Leben – Internationales Workcamp des Volksbundes

Esterwegen

„Morgens einen halben Liter ‚Kaffee‘ aus Korn gebrannt, mittags einen dreiviertel Liter Kaffee und abends einen halben Liter Suppe mit 200 Gramm Brot.“ Carsten Wiechmann erinnert sich noch genau an die tägliche Verpflegung im Lager Esterwegen: 1940/41 saß der ehemalige Soldat wegen Fahnenflucht ein Jahr dort ein.

Von Carsten van Bevern

Jetzt sprach der 83-Jährige aus Bremen mit jugendlichen Workcamp-Teilnehmern aus Weißrussland, Moldawien, Polen und Deutschland während eines Rundganges über das Gelände des ehemaligen Konzentrations- und Strafgefangenenlagers über sein Leben und seine Erfahrungen.

„Hier muss das innere Lagertor gewesen sein“, erzählt der ehemalige Obergefreite, während er mit den Jugendlichen die Lagerstraße entlanggeht. „Hier marschierten wir jeden Abend nach der schweren Arbeit im Moor wieder in das Lager. Manchmal suchten die Wachen der SS einen Häftling aus, der hier auf einen Baum klettern musste. Später veranstalteten sie Schießübungen auf unseren Kameraden. Wenn er Glück hatte, fiel er verletzt vom Baum und kam ins Lazarett. Wenn er Pech hatte, war er tot.“

Den Jugendlichen des internationalen Workcamps wird klar, welche Gräueltaten sich vor 60, 65 Jahren auf dem Gelände abgespielt haben müssen. Zwei Wochen lang werden die 16 bis 24 Jahre alten Teilnehmer unter Anleitung des erfahrenen Archäologen Falk Näth auf dem Gelände arbeiten und nach letzten Spuren des Lagers graben. In der Woche zuvor arbeiteten hier bereits Jugendliche der CAJ und der Katholischen jungen Gemeinde aus Berlin (wir berichteten).

Mit diesem Workcamp betritt der Landkreis Emsland, der hier die zentrale Gedenkstätte für die 15 Emslandlager aus der NS-Zeit einrichten will, allerdings Neuland: Erstmals kooperiert der Kreis mit dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge. „In Zusammenarbeit mit einer deutsch-belarussischen Partnergesellschaft wurden die Teilnehmer aus Weißrussland und Moldawien ausgewählt. Die polnischen Jugendlichen kommen aus Wagrowiec bei Posen und kennen die Arbeit des Volksbundes schon von dortigen Jugendlagern“, berichten Sabine und Dieter Mithöfer aus Rhauderfehn, die nach 1993 in Rhauderfehn und 1997 in Nordhorn bereits ihr drittes internationales Volksbund-Workcamp leiten.

„Ich möchte Leute aus verschiedenen Ländern kennen lernen, meine Deutschkenntnisse verbessern und zur Aufarbeitung der Geschichte der Konzentrationslager beitragen“, erklärt die 21-jährige Balan Olesea aus Weißrussland. „Diese Grabpflege ist ein Beweis dafür, dass Freundschaften zwischen den Ländern neue Kriege verhindern können“, schreibt sie weiter auf ihrem Vorstellungszettel. Bis Ende kommender Woche wird sie dafür noch ausreichend Zeit haben.

1940/41 war Carsten Wiechmann (rechts) in Esterwegen inhaftiert. Über seine Erfahrungen sprach er an historischer Stätte mit weißrussischen, polnischen, moldawischen und deutschen Teilnehmern eines Volksbund-Workcamps.

Kurzführungen - in deutsch und auch in niederländischer Sprache

Jeden 1. Sonntag im Monat, jeweils um 11 Uhr und 15 Uhr.