Wo der Schmerz sich einnistet

Esterwegen. „Es gibt keinen Tag, an dem ich nicht an meine Zeit im Lager denke.“ Henk Verheyen ist heute 86 Jahre alt. Am 27. Juni 1943 ist er als 18jähriger Widerstandskämpfer in Antwerpen verhaftet und als "Nacht- und Nebel-Gefangener" in das Strafgefangenenlager Esterwegen gebracht worden.

In der letzten Zeit hat er noch häufiger an diese Zeit denken müssen. "In den ersten Wochen nach meiner Befreiung bin ich nachts regelmäßig mit Alpträumen aufgewacht. Zehn Jahre lang ging das so. Das ist jetzt aber nur noch selten der Fall."

Als Vertreter der ehemaligen Häftlinge in den 15 Emslandlagern sprach Henk Verheyen gestern bei der offiziellen Eröffnung der Gedenkstätte Esterwegen über sein Leben und legte sein Häftlingsvermächtnis ab. Er hat schon häufiger Esterwegen besucht. Und er unterhält freundschaftliche Beziehungen zu den Mitarbeitern des Dokumentations- und Informationszentrums (DIZ) Emslandlager in Papenburg, das DIZ ist seit 1981 häufig der erste Ansprechpartner für frühere Häftlinge gewesen. Die Kosten für die Gedenkstätte beliefen sich auf insgesamt 5,8 Millionen Euro.

„Trotzdem ist jeder Besuch an diesen Ort für mich eine emotionale Angelegenheit. Man wird dann daran erinnert, was man hier erleben und erleiden musste.“ Über die Gedenkstätte gibt der noch rüstige alte Herr an diesem Tag aber bereitwillig und gerne Auskunft. Die Fotoapparate klicken und die Filmkameras der zahlreichen Medienvertreter an diesem Tag surren, als Henk Verheyen in der neu konzipierten Dauerausstellung sein eigenes Bild entdeckt. Es zeigt ihn als jungen Mann im Jahr 1945. Er trägt dort wieder einen Anzug und nicht mehr seine dunkelblaue Häftlingsjacke.

Aber ist er auffallend dünn - vor allem als „Hungerlager“ ist ihm Esterwegen in Erinnerung geblieben. Verheyen erinnert sich aber auch an stundenlange Appelle im Freien und bei klirrender Kälte. Oder an seine Zeit in der Krankenbaracke, die auch bei 17 Grad Minus in der Nacht nicht mehr beheizt wurde. Jetzt ist er vor allem froh, dass es diese Gedenkstätte gibt: „Der Philosoph Léon Bloy schrieb damals, das der Mensch in seinem Herzen Räume hat, die noch nicht existieren, aber wo der Schmerz sich einnistet, so dass die Menschen existieren können. Unsere verstorbenen Kameraden haben schon lange einen solchen Raum in unseren Herzen, aber jetzt haben sie einen solchen Platz auch an dem Ort, an dem sie gelitten haben.“

Als „hochwürdige“ und „Riesenleistung“ bezeichnet er anschließend die Einrichtung der Gedenkstätte. „So wie hier haben wir letzten noch verbliebenen Kameraden uns die Gedenkstätte und die Ausstellung gewünscht und vorgestellt. Vor allem Dr. Andrea Kaltofen von der Stiftung Gedenkstätte Esterwegen und DIZ-Leiter Kurt Buck gebührt dafür unser aller Dank“, betont er unter dem Beifall der 650 Ehrengäste.

Esterwegen solle nun noch stärker nicht nur ein wichtiger Ort der Erinnerung, sondern auch und vor allem ein Ort des Nachdenkens, der Forschung und des Verständnisses demokratischer Ideen sein. Nur durch die Auseinandersetzung mit jener menschenverachtenden Zeit sei es möglich, Nutzen für die Gegenwart und die Zukunft abzuleiten. „Meine Wunden sind jetzt geheilt, die Narben jedoch bleiben. Ich hege keinen Groll, keinen Hass. Ich möchte nur ein warnender Zeuge sein, auf dass uns ein derartiger Wahnsinn nie wieder erfasst.“

Autor: Carsten van Bevern, Meppener Tagespost am 1. November 2011

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